Nicht mehr viel Zeit umzusteuern: Interview mit Angelika Zahrnt

08. Juli 2024 | BUND, Nachhaltigkeit, Suffizienz, TTIP / CETA

Angelika Zahrnt war von 1998 bis 2007 Vorsitzende des BUND und ist heute Ehrenvorsitzende. Kürzlich feierte sie ihren 80. Geburtstag.

BUND-Ehrenvorsitzende Angelika Zahrnt

Frau Zahrnt, Sie sind schon lange im BUND aktiv. Was hat Ihr Engagement geprägt?

Ganz stark die inhaltliche Arbeit, sie hat mich in den 80er Jahren zum BUND geführt. Damals traf ich auf ein paar Menschen, die wie ich der Meinung waren, dass der BUND einen Arbeitskreis „Wirtschaft“ brauchen könnte – langjährige Wegbegleiter wie Hans Binswanger, Rudi Kurz oder Hans Nutzinger. Ich bin dann Vorsitzende dieses Arbeitskreises geworden, saß damit im Wissenschaftlichen Beirat und bald auch im Vorstand des BUND.

Zu den wichtigsten Themen unseres Arbeitskreises gehörte die ökologische Steuerreform, die der BUND politisch ganz wesentlich vorantrieb. Die erste rot-grüne Bundesregierung hat diese Reform denn auch ab 1999 umgesetzt, zwar bescheiden, aber immerhin.

Sehr beschäftigt haben uns von Anfang an die Grenzen des Wachstums, wie sie der Club of Rome 1972 ausarbeitete. Die Kritik am dauernden Wachstum findet sich schon in den allerersten Stellungnahmen des BUND. In meiner Zeit als Vorsitzende bekam ich immer wieder gesagt – ob es um Bebauungspläne ging oder Grenzwerte: Umweltschutz ist nur möglich, soweit er das Wachstum nicht beeinträchtigt. Warum sind wir so abhängig vom Wirtschaftswachstum? Warum sind Wirtschaft und Gesellschaft so auf das „Weiter, schneller, mehr“ ausgerichtet? Diese Frage bewegt mich noch heute, so in meinen Büchern zur Postwachstumsgesellschaft, zur Suffizienzpolitik oder aktuell zum Thema Flucht.

Eine entscheidende Erfahrung war wohl 1992 die UN-Konferenz in Rio?

Richtig, mit den Vereinbarungen der Weltgemeinschaft zur Nachhaltigkeit begann unsere Arbeit an der Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“. Trotz aller Bekenntnisse war nämlich bald klar: Die Politik wollte de facto nicht viel ändern. In unserem Buch, das 1996 erschien, haben wir durchdekliniert, was Zukunftsfähigkeit für ein Industrieland wie Deutschland bedeutet und wie eine weltweit nachhaltige Entwicklung aussehen könnte. Das passte gut zum traditionell breiten und ganzheitlichen Themenspektrum des BUND.

Weniger gut passte das schon damals zum herrschenden Wachstumsdogma. Dass wir Deutschen unseren Konsum verringern müssen, wenn die Weltbevölkerung gerecht an den irdischen Ressourcen teilhaben soll, wurde als ziemlich absurd und skandalös empfunden. Trotzdem oder gerade deshalb erfuhr die Studie viel Resonanz, auch Angela Merkel nahm als Umweltministerin an der Vorstellung teil. Allein im ersten Jahr richteten BUND und Mitherausgeber Misereor bundesweit tausend Veranstaltungen dazu aus. Was uns beeindruckte: Für viele unserer Orts- und Kreisgruppen war die Studie der Start für eine Lokale Agenda 21.

Was ist Ihnen aus Ihrer Zeit als Vorsitzende besonders in Erinnerung?

Vor 1998 habe ich den BUND ja schon zehn Jahre als stellvertretende Vorsitzende begleitet. Stark beschäftigt hat mich in den 90er Jahren unser innerverbandlicher Zusammenhalt. In diese Zeit fielen wichtige Strukturreformen mit dem Ziel, das Gewicht unserer so unterschiedlichen Landesverbände auszutarieren. Eine große Aufgabe war es, die neuen Landesverbände im Osten zu stärken und zu integrieren. Als sehr verbindend erwiesen sich – neben dem „Zukunftsfähigen Deutschland“ – das Grüne Band und spätere große Naturschutzprojekte wie Burg Lenzen oder das Rettungsnetz Wildkatze.

Im Jahr 2000 stand der Umzug der Bundesgeschäftsstelle von Bonn nach Berlin an, auch das ein wichtiger Schritt. Andere Verbände sind deutlich später gefolgt. Für uns war nach einiger Diskussion klar: Als politischer Verband müssen wir nah an der Bundespolitik bleiben. Das hat sich als richtig erwiesen.

Spannend war die Nachfolge-Konferenz von Rio, 2002 in Johannesburg. Hier wurden die Weichen für die erneuerbaren Energien gestellt. Der BUND war als Teil unseres Netzwerks „Friends of the Earth“ dabei – mit einer Demonstration von Figuren aus Pappmaschee, die in den Armenvierteln entstanden waren. Damit verhalfen wir auch der sozialen Frage zur Präsenz.

Sie haben auch viel in Gremien mitgewirkt?

Ja, ich habe über zehn Jahre im ZDF-Fernsehrat dafür gekämpft, dass die Umwelt ein Thema bleibt und die Umweltredaktion nicht gestrichen wird. Ebenso lang war ich im Rat für Nachhaltige Entwicklung. Meine große Enttäuschung hier war, dass alle Bundesregierungen immer sagten: „Die Nachhaltigkeitsstrategie ist der rote Faden unserer Politik.“ Tatsächlich wurde sie nie wirklich ernst genommen, schon gar nicht von den wechselnden Verkehrsministern.

Dem BUND sind Sie bis heute erhalten geblieben ...

Natürlich arbeite ich weiter im BUND, ob im Arbeitskreis oder engen Kontakt mit unseren Referentinnen für Wirtschaft und Nachhaltigkeit. Und ich engagiere mich für lokale Initiativen, im Verband und außerhalb – einfach um zu sehen und zu zeigen, dass kleine Dinge in die richtige Richtung gehen.

Genauer im Blick habe ich heute die europäische Ebene. Da tut sich für die Umwelt wenigstens ein bisschen was, weil parteipolitisch nicht alles so festgezurrt ist.

Was überwiegt nach nunmehr 80 Jahren: Hoffnung oder Resignation?

Eine Mischung von beidem. Früher habe ich oft gesagt: „Es geht ja voran, unsere Konzepte, Projekte, Werte und Lebensstile werden sich nach und nach verbreiten und die Politik wird die nötigen Leitplanken dafür setzen.“ Doch die Umweltprobleme haben sich beschleunigt, es bleibt nicht mehr viel Zeit umzusteuern. Wie heißt es so treffend, der nötige Wandel geschieht „by design or by disaster“. Ich fürchte, es wird noch schlimmer werden, bevor es endlich besser wird.

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